“Science” hat in seiner Ausgabe vom 29. März 2012 zwei Studien veröffentlicht, nach denen Neonicotinoide, weitverbreitete Pestizide, welche unter anderem zum Beizen von Saatgut eingesetzt werden, für das Bienensterben der letzten Jahre zumindest mitverantwortlich sein dürften. Das Gift stört demnach den Orientierungssinn und die Lernfähigkeit der Bienen. Dadurch finden Sie nicht mehr in den Stock zurück und das Volk kollabiert aufgrund von Nahrungsmangel.
Neonicotinoide fanden erstmalig gegen Ende der 90er Jahre Anwendung. Teilweise ersetzten sie andere, bekanntermaßen für Menschen gefährliche Gifte. Vor allem führten Sie aber zu einem Rückgang des Fruchtfolge-Anbaues. Anstatt Felder im Jahreswechsel mit verschiedenen Pflanzen zu bebauen und so dem Schädlingsdruck entgegenzuwirken, konnten Äcker “dank” des giftumhüllten Saatgutes Jahr für Jahr mit dem selben Saatgut bestellt werden. Auf manchen Feldern steht dadurch seit mehr als einem Jahrzehnt nichts als Mais, Mais und nochmal Mais.
Seit gut einem Jahrzehnt berichten Imker immer häufiger über plötzliche und unerklärliche Rückgänge ihrer Bienenpopulationen. Ganze Völker sterben plötzlich aus, teilweise ist die Existenz der Bienenzüchter bedroht oder wurde schon zerstört. Auch Wildpopulationen wie Hummeln und andere sind von dem Phänomen betroffen. In manchen Regionen, vor allem der USA, sind Bienen gänzlich vom Aussterben bedroht. Ohne Bestäuber bleiben bei vielen wichtigen Nahrungsmitteln aber die Erträge aus oder verringern sich drastisch.
Auf der Suche nach den Ursachen für das Bienensterben wurden viele mögliche Verursacher ins Spiel gebracht. Von Viren über Milben bis hin zu den industriellen Methoden der Bienenzüchter und dem Klimawandel wurde über alle möglichen Schuldigen gemutmaßt. Gerade die Neonicotinoide kamen aber schon recht früh unter Verdacht.
Berichte zeigten, dass die von der chemischen Industrie in Auftrag gegebenen Studien, welche die Umweltverträglichkeit und Unbedenklichkeit der neuen Pestizide belegen sollten, methodisch schlecht und unzuverlässig durchgeführt wurden. Einzelne Forscher fanden schon früh Hinweise darauf, dass Neonicotinoide Bienen zwar nicht direkt umbringen, aber ihre Fähigkeit zu lernen und zu navigieren beeinflussen. Diese Ergebnisse stammten allerdings aus Laborversuchen. Eine Übertragbarkeit auf reale Außenbedingungen ließ sich nicht garantieren.
Für Bienen ist die Fähigkeit zur Navigation aus naheliegenden Gründen extrem wichtig. Wenn die Sammlerinnen ausschwärmen, fliegen sie oft mehrere Kilometer um Pollen und Honig einzusammeln. Alles, was ihre Chancen auf eine sichere Rückkehr in den Bienenstock auch nur geringfügig verschlechtert, kann sich katastrophal auf das Volk auswirken.
In der ersten der beiden jetzt veröffentlichten Studien führte ein französisches Institut versuche mit frei fliegenden Bienen durch. Die Tiere wurden mit RFID-Chips markiert welche es den Forschern erlaubten, ihre Bewegungen aufzuzeichnen. Bei jenen Völkern, die im Rahmen des Versuches mit Neonicotinoiden belastet wurden, starben mehr als doppelt so viele Bienen ausserhalb ihrer Stöcke wie bei unbelasteten Völkern. Aus den Bewegungsprofilen ergab sich, dass sie sich schlichtweg verirrten.
Als die Forscher ihre durch Beobachtung gewonnenen Daten in ein Simulationssystem für Bienenstöcke fütterten, führte der erhöhte Ausfall von Sammlerinnen binnen kurzer Zeit zum Zusammenbruch des Bienenvolkes. Namhafte Entomologen (Insektenkundler) bezeichneten die Studie der Franzosen als bisher beste und fundierteste Untersuchung zu den Auswirkungen von Neonicotinoiden auf das Sammelverhalten von Honigbienen.
Von einigen Experten wird angenommen, dass die Neonicotinoide nicht die alleinige Ursache für das extrem ausgeprägte und verbreitete Bienensterben sind. Andere Studien zeigten aber, dass das Umweltgift Honigbienen auch wesentlich anfälliger für verbreitete Parasiten wie die Varroa-Milbe macht. Obendrein gibt es Hinweise darauf, dass Neonicotinoide die Giftigkeit von Fungiziden erheblich verstärken. Kombiniert mit dem Stress durch oft sehr unnatürliche Haltungspraktiken in der “industriellen” Honigproduktion, wirken diese Faktoren offensichtlich zusammen.
In Anbetracht der kaum abschätzbaren Gefahr, die ein weitverbreitetes Absterben bestäubender Insekten für unsere Nahrungsversorgung haben könnte, sollten Pestizide auf Basis von Neonicotinoiden weitestmöglich aus dem Verkehr gezogen werden. Unsere Landwirtschaft kam bis in die 90er Jahre problemlos ohne vergiftetes Saatgut aus. Der Ertrag unserer Äcker ist durch den Verzicht auf Fruchtwechsel und den vermehrten Gifteinsatz nicht maßgeblich erhöht worden. Ein Verbot würde lediglich bedingen, dass man sich wieder auf die üblichen (und erfolgreichen) Praktiken der letzten Jahre und Jahrzehnte zurückbesinnt.
Das grundlegende Problem sind aber nicht die Neonicotinoide alleine. Das Problem ist unsere Beziehung zu Chemikalien und Gentechnik. Wir machen uns selber zu Versuchskaninchen und hantieren ohne ausreichende Risikovorsorge mit unserer Lebensgrundlage, der Versorgung mit Nahrung, herum. Manchen Menschen scheint nicht klar zu sein, dass ein einziger Fehltritt in diesem Bereich den Tod hunderttausender Menschen verursachen kann. Eine rationale Gesellschaft sollte so etwas schlichtweg nicht zulassen.